Kinostarts August 2015
Es wird meist mit „Liebe“, „Zuneigung“, „Nächstenliebe“ oder auch „Mitgefühl“ übersetzt und in Hawai'i als Grußformel beim Kommen und Gehen verwendet. Im eigentlichen Wortsinn steht die Silbe „alo“ jedoch für „in Anwesenheit von“, und die Silbe „ha“ für „Odem des Lebens“. Es impliziert also, dass die Gesprächspartner sich der Anwesenheit Gottes bewusst sind. Somit ist es deutlich mehr als ein einfacher Gruß beziehungsweise eine einfache Verabschiedung.
»Aloha ist ein Film über zweite Chancen im Leben«, sagt Regisseur und Drehbuchautor Cameron Crowe. »Ich wollte eine Geschichte über die Verlockungen der Vergangenheit und die Verheißung der Zukunft erzählen. Es ist immer leicht, rückwärts zu blicken, sich an all die schönen Momente zu erinnern, die man hatte, und an diesen festzuhalten. Es ist beängstigender, in die Zukunft zu schauen, und zu versuchen, eine Zukunft zu schaffen, die genauso gehaltvoll ist wie die Vergangenheit, wenn nicht gehaltvoller. Ich wollte die Geschichte eines Typen erzählen, der mit einem gewissen Gehalt an Bedauern über seine Schulter blickt und lernt, nach vorn zu schauen. Das war der Traum, wie eine Geschichte, die auf Hawaii spielt, sein könnte.«
So ist die polynesische Inselgruppe, die von den USA annektiert wurde, auch der Handlungsort unserer Filmfiguren. Als Militär-Unterhändler Brian Gilcrest dort landet, um mit dem Anführer der ansässigen Herrscher der unabhängigen Nation von Hawaii zu verhandeln, wird er sogleich von zwei Frauen in die Mitte gezogen. Einerseits wurde die Pilotin Allison Ng (gesprochen: ing) an seine Seite gestellt, um ihn zu unterstützen, andererseits entdeckt er auf dem Flugplatz seine ehemalige Freundin Tracy, die inzwischen mit dem Piloten, der Brian hergebracht hat, verheiratet ist und eine Familie hat.
Ng ist zu einem Viertel Hawaiianerin und ist unter ihren Kollegen als „Schnellbrenner“ bekannt. Sie besitzt neben ihrer Knallfrosch-Persönlichkeit (eine passende Beschreibung für „Big Eyes“ Emma Stone!) einen Kampfgeist für's Leben und hinterlässt bei jedem sofort einen bleibenden Eindruck - so auch bei Gilcrest, der sich zunächst ein Katz-und-Maus-Spiel mit ihr liefert, denn er will erst mit seiner alten Flamme Tracy Rücksprache halten, um zu sehen, ob diese in seiner Zukunft eine Rolle spielen könnte. Man(n) sollte die Hoffnung nie aufgeben. Und Rachel McAdams ist schließlich auch nicht nur als Schauspielerin heiß begehrt...
Eine weitere originelle Figur ist Tracys wortkarger Ehemann „Woody“, der von John Krasinski hervorragend komisch gespielt wird und außer in paar Lauten sich meist mit seinen Blicken und Gesten vermittelt. »Der Typ hat etwas echt Ruhiges und Zeitloses an sich, im Stil der 1940er/50er Jahre«, sagt der Schauspieler. »Vater zu sein ist eines der schweren Gewichte an ihm, kann aber auch das große Los sein, warum er jeden einzelnen Tag aufsteht.«
»Man stellt sich John als lustigen, extrovertierten Typen vor, er hat jedoch auch diese echt süße stoische, heldenhafte Seite an sich«, erzählt Rachel McAdams. »Er zeigte am Set eine großartige Präsenz, brachte immer alle zum Lachen und hellte alles auf. Er besitzt aber auch diese Stille-Wasser-sind-tief-Mentalität, die einen wesentlichen Teil Woodys ausmacht.«
Die Besetzung wird von drei Herren abgerundet - Bill Murray als extravaganter Visionär und Industriemagnat und Gilcrests Boss, der insgeheim eine Rakete ins All schießen will, Alec Baldwin als General (in dieser Rolle in dieser Woche auch in Mission: Impossible - Rogue Nation am Start), der die verdeckte Operation leitet, sowie Danny McBride als Colonel „Fingers“ Lacy, der nicht nur viel mit seinen Fingern herumfuchtelt, sondern am Ende auch als Verbündeter von Gilcrest die brenzlige Situation rettet.
Wie man es von Cameron Crowe gewöhnt ist, hat dieser auch für diesem Film jahrelang recherchiert und dabei Freunde gewonnen, ohne die der Film nicht so hätte gedreht werden können. Als er 2006 in der beginnenden Konzeptphase des Films vom damaligen Air Force Verbindungsoffizier für Unterhaltung, Steve Clutter, auf eine Pilotenfamilie verwiesen wurde, war ihm noch nicht klar, dass Woody, Tracy, Grace und Mitchell Woodrow später Pate für eine Familie in dem neuen Film stehen würden - zumindest namentlich, denn die Woodsides im Film stellen nicht die echten Woodrows dar.
Eines Tages fragte Clutter die Familie, ob sie den Regisseur gern treffen würden. Da sie Fans von Crowes Filmen sind, hatten sie schnell zugestimmt. »Eines Tages kam ich nach hause, öffnete die Hintertür, da saß Cameron auf unserer Ottomane und sprach mit Woody«, erinnert sich Tracy Woodrow. »Wir aßen schließlich zu Abend. Wir sprachen mit einander und er nahm uns auf und machte Fotos. Er ist sehr aufmerksam. Ich konnte sehen, wie er sich mental Notizen machte. Aber er ist so nett und klug und nahm uns schnell die Nervosität.« Crowe interessierte sich dabei mehr für das Leben auf dem Stützpunkt und den militärischen Lebensstil als für den beruflichen Aspekt ihrer Tätigkeiten oder ihr persönliches Leben.
Neben dem persönlichen Privatleben von Brian Gilcrest handelt der Film auch von dessen beruflichen Aspekt - den Verhandlungen mit den Einheimischen. Da hatte er Glück, dass er die spirituelle Ng an seiner Seite hatte, denn sie ist es schließlich, die Gilcrest nach dessen misglückter Kontaktaufnahme die Tore zu Verhandlungen öffnet. In den Verhandlungen ging es darum, dass die Militärs eine Raketenabschussrampe aufstellen und die Hawaiianer im Gegenzug mehr Land zurückgesprochen haben wollen - und besseren Handyempfang.
Für die Rolle des Anführers der Hawaiianischen Unabhängigkeitsbewegung bietete sich schließlich derselbige an - Dennis „Bumpy“ Kanahele. In den ersten Interviews mit Crowe teilte Kanahele die Geschichte seiner Bewegung und der fortwährenden Bemühungen angesichts der stark ansteigenden Neugestaltung der Hawaiianischen Inseln, die deren geschichtliche Kultur bedrohen. Kanahele ist ein Volksheld für seine Landsleute, Nachkomme in der 8. Generation des legendären Königs Kamehameha, über die Inseln hinweg respektiert und Staatsoberhaupt der Nation von Hawaii, der unabhängigen und nationalen Herrschaftsbewegung, die in dem Dorf Pu'uhonua O Waimanalo residiert, das im Film „Das Königreich“ genannt wird.
Kanahele erwähnt, dass schon viele Produzenten auf die Insel kamen, um von ihm Informationen zu bekommen. Keiner von ihnen zeigte jedoch das Interesse wie Crowe. »Sie wollten alle Filme machen«, erzählt Kanahele. »So war das auch, als Cameron hinein kam. Es war eines von diesen Treffen. Doch sein Herz überzeugte mich, einfach nur so wie er war. Ich kam ihm auf Anhieb näher. Als ich ihm von der einheimischen Situation erzählt hatte, gibg er wirklich darauf ein. Andere Hollywood-Leute hätten das gar nicht ernst genommen. Er hatte zu jenem Zeitpunkt schon Recherchen angestellt und sagte: „Weißt du, du bist ein großartiger Mensch.“ Und er hielt das bis zum Ende durch. Cameron war anders: Er war ein Freund, kein Filmproduzent.«
Schließlich, nach langer Suche, kam Crowe zu der Entschidung, dass Kanahele im Film sich selbst spielen sollte. »Wir haben so viele erlesene hawaiianische Schauspieler vorsprechen lassen, doch wir kamen immer wieder auf das Charisma des Manns selbst zurück«, erklärt Cameron Crowe. »Als Eric Gautier, Bradley, Emma und ich den Berg hoch gingen, um uns Bumpys Grundstück anzusehen, sahen wir uns alle gegenseitig an und fragten „Warum kann es nicht einfach Bumpy sein?“ Es gibt niemanden, der diesen Typ spielen könnte. Er ist wie Brando - er ist natürlich.«
Auch Emma Stone suchte Kanaheles Weisheit, um sich über ihre teilhawaiianische Rolle zu unterrichten. Sie fragte ihn, was das Bedeutendste ist, an was sie sich erinnern solle. »„Deine Wurzeln“, sagte er«, erinnert sie sich, wie er es als Hawaiianer sagte. »„Du gehst immer auf den Knochen deiner Vorfahren. Das ist etwas, das du bei den Hawaiianern fühlst, das Gefühl der tiefen Verwurzelung, zu wissen, wer deine Familie ist, und wessen Erbe du ein Teil von bist.“ Das ist alles so tief bedeutsam und respektvoll, und „aloha“ schließt das alles mit ein.«
Natürlich spielt auch hier die Musik eine große Rolle. Cameron Crowe war begeistert vom hawaiianischen Slack-Key-Musikstil: »Es ist Musik, die atmet und dir Raum zum Atmen gibt. Und ich wollte diese Musik im Film repräsentiert haben, was sie auch wird. Und wenn man an Leute denkt, die solch eine Art von Raum und Stille benutzen, ist es nicht weit entwernt, bis man auf Jónsi & Alex kommt.« So kam es, dass Crowe für seine Filmmusik Jónsi Birgisson, den Sänger der isländischen Rockband Sigur Rós, und seinen Partner Alex Sommer gewinnen konnte:
»Wenn man sich die Musik von Sigur Rós und Jónsis Kompositionen anhört, so viele Lieder, die er live mit der eingebauten Stille geschrieben hat, fühlt man Dinge, atmet mit der Musik. Es befruchtete das hawaiianische Gefühl mit ein wenig sauberem Tuning von kalifornischem Stil mit dem isländischen Stil von Jónsi & Alex - Musik, die atmet und in deinem Herzen lebt und dir nichts verkaufen will. Sie legt einfach ihre Arme um dich. Es ist Milieumusik. Sie lässt dich auf eine gewisse Art fühlen. Niemand sagt dir, wie du fühlen sollst, du fühlst sie einfach. Und das war der Sound, den ich für den Film wollte.«
Doch auch wenn die Musik noch so authentisch wirkt wie das brisante Thema der Annexion Hawaiis oder die Figuren im Film, so fehlt zwischen einigen Schauspielern die Chemie - zueinander wie auch dem Zuschauer zugewandt. Die Liebesdreiecksgeschichte hat man zu Haufe bereits gesehen, und auch wenn Emma Stone als esoterischer Knallfrosch recht amüsant und respektvoll liebenswürdig durch den Film hüpft, so wirkt die Liebesszene zwischen ihr und Bradley Cooper irgendwie wie vom Drehbuch auferzwungen, gar nicht so natürlich, wie Crowe es mit der Filmmusik hatte.
Ganz anders ist da das Zusammenspiel zwischen Cooper und Rachel McAdams und auch John Krasinski und Danny McBride. Da stimmt die Chemie und das beunruhigte Filmfreundherz kommt in einen Rhythmus. Auch kommt der Film erst so richtig ab der Hälfte in Fahrt, als sich Gilcrests innere Konflikte, einerseits zwischen den beiden Frauen und andererseits zwischen seiner beruflichen Vergangenheit und Zukunft, zuspitzen und sich beide ein wenig ineinander verzahnen. Die Charaktere der Hauptfiguren sind recht tiefgründig gezeichnet, selbst Alec Baldwins Nebenfigur des Generals bekommt zum Schluss ein wenig Tiefe.
Doch am Ende bleibt ein etwas unstimmiger Film, mag es am Drehbuch liegen oder an der Auswahl der Schauspieler, oder beidem. Das ist schade, denn Crowe hat seit Elizabethtown (2005) kein vorzeigbares Werk mehr abgeliefert. ►Wir kaufen einen Zoo war zwar auch ein nettes Familiendrama, aber auch nicht mehr! Derzeit steckt der Regisseur in der Vorproduktionsphase des TV-Films Roadies, in dem er Roadies auf einer Tour mit einer Rockband begleitet - etwas, das Crowe bestens kennt. Zu seinen Wurzeln zurück begleiten ihn dort u.a. Carla Gugino, Imogen Poots und Luke Wilson. ■ mz