Kinostarts Januar 2015
Warum jetzt in Deutschland Superhelden unbeliebt sein sollen, weiß ich zwar nicht, dennoch hat sich Disney für den deutschsprachigen Raum die größte Figur des Films, die auch gleichzeitig eigentlich eine Nebenrolle spielt (oder wie man es im Englischen ausdrückt: supporting role, denn für eine Nebenrolle ist sie recht groß), für den Filmtitel auserkoren.
Im Original heißt der Film nämlich Big Hero 6, benannt nach der gleichnamigen Marvel-Comic-Reihe, die hier eher unbekannt ist. Also nannte man den Film Baymax und addierte den Untertitel Riesiges Robowabohu - für Kinder ab 6 gewiss ganz niedlich. Doch so richtig entfaltet der Film sein Potenzial erst für Kinder, die ein paar Jahre älter sind und differenzierter mit komplexen Handlungen und Gut und Böse umgehen können.
Die Haupthandlung ist nämlich ungemein düsterer als die Nebenhandlung mit dem Gesundheitsroboter: »Hiro ist 14 Jahre alt und ein richtiger Wunderknabe«, beschreibt sie Drehbuchautor Robert L. Baird. »Er hat schon mit 13 die High School abgeschlossen, aber er nutzt seine besondere Begabung nicht gerade zum Wohl der Menschheit. Stattdessen schlägt er sich ganze Tage und Nächte bei illegalen Roboterkämpfen um die Ohren.«
Mit einem schlauen Trick bringt Hiros großer Bruder Tadashi ihn dazu, seine Talente in geordnete Bahnen zu lenken, erklärt Mit-Autor Daniel Gerson: »Tadashi ist smart und selbstsicher. Er nimmt Hiro mit ins Technische Institut der Universität von San Fransokyo, kurz: Tech, und Hiro ist überwältigt. Hier trifft er auch den Professor, der die Magnet-Servolenkung erfunden hat, die Hiro bei seinen Kampfrobotern benutzt. Als er das Institut wieder verlässt, ist er entschlossen, hier zu studieren.«
»Als Aufnahmeprüfung muss Hiro allerdings eine eigene Erfindung vorweisen«, fährt Regisseur Don Hall fort. »Also entwickelt er telepathisch gesteuerte Mini-Roboter, sogenannte Mikrobots, die sich zu jeder erdenklichen Form und Funktion zusammensetzen lassen.« Aber natürlich läuft nicht alles nach Plan. Als ein großer Brand ausbricht, nimmt die Geschichte eine dramatische Wendung.
»Bei dem Versuch, seinen Professor zu retten, kommt Tadashi auf tragische Weise ums Leben«, erklärt Hall. »Hiro ist am Boden zerstört. Er vermisst seinen Bruder furchtbar und wird immer verschlossener. Bis der mitfühlende Hilfsroboter Baymax, den Tadashi selbst erfunden hat, in Hiros Leben tritt und ihn aus seinem seelischen Tief holt.«
»Der Film zeigt in erster Linie, wie sich Hiro und Baymax anfreunden«, so Regisseur Chris Williams. »Wir haben schon früh entschieden, dass ihre Freundschaft im Mittelpunkt stehen soll, nachdem Hiro mit dem Verlust seines Bruders fertigwerden muss. Zwar soll die Story lustig sein und richtig Spaß machen, aber eben auch emotionalen Tiefgang bieten. Und das ist weitaus mehr, als die meisten von einem Film wie diesem erwarten.«
Disney hatte von Marvel freies Geleit bekommen, die Geschichte für die eigenen Bedürfnisse zurechtzuschneiden: So wurden die Figuren nach Amerika gebracht - allerdings in ein japanisiertes, fiktives Amerika, damit die Figuren und die Geschichte zusammen auch Sinn machen. So japanisierte man San Francisco und machte daraus San Fransokyo - ein nicht sehr origineller Name, der auch noch billig zusammengeschustert klingt. Man könnte die Geschichte weiter spinnen, indem man vermuten lässt, dass Japan damals nach dem Angriff auf Pearl Harbor auch einen Krieg gegen die USA gewonnen hatte...
Und so fügt sich auch ein etwas düsteres Gesamtbild zusammen, denn der Tod von Hiros Bruder löst eine Kette von Ereignissen aus, die dann wieder dem Marvel-Universum zuzuschreiben sind. So schließen sich die Wissenschaftler-Außenseiter Hiro samt seinem Beschützer Baymax, Fanboy Fred, GoGo Tomago, Wasabi No-Ginger und Honey Lemon zu dem Superheldenteam „Big Hero 6“ zusammen, das am Ende heldenhaft gegen die eigene Technologie kämpfen muss, die der Bösewicht, der auch Hiros Bruder auf dem Gewissen hat, für seine Zwecke einsetzt.
Durch die komplexe Änderung der Comics wirkt der Film auch ein wenig überladen - quasi zwei Filme in einem - ein Disney-Film um den liebenswürdig lustigen Gesundheitsroboter Baymax und ein Marvel-Film um eine Gruppe Superhelden, die gegen eine Übermacht ankämpfen müssen. Beide Handlungsstränge mischen sich recht gut zusammen, bilden jedoch nicht wirklich eine Einheit. Auch das Superheldenszenario an sich wirkt wie ein Zusammenschaufeln von Restideen von Disneys Hit Die Unglaublichen. Vielleicht hätte man die Geschichte ein wenig anders angehen sollen.
Auch der bombastische Klangteppich von Henry Jackman vermag es nicht, dem Film den Mangel an Originalität abzutragen. Dabei arrangierte Jackman die Musik souverän nach seinen bisherigen Superhelden-Kompositionen (X-Men: Erste Entscheidung, The Return of the First Avenger, Kick-Ass). Interessant ist auch, dass er bereits zum dritten Mal San Francisco als Kulisse bespielt. Seine Karriere begann schließlich 2009 mit dem Superhelden-Animationsabenteuer Monsters vs. Aliens und setzte sich zuletzt mit dem amazon-Serien-Pilotfilm The Man in the High Castle fort, worin es, ähnlich wie bei Baymax, um einen fiktiven Sieg der Japaner gegen die USA geht, die im Westen von Japan und im Osten von den Nazis besetzt wurde.
Es gibt also in dem Film in der Tat ein „riesiges Robowabohu“, das sich immerhin von der realen Welt hat inspirieren lassen. So basiert die Konstruktion von Baymax auf einem aufblasbaren Vinyl-Konzept des Caltech, das wiederum für die heiligen Hallen im Film Pate stand. Auch setzte man Wert auf Geografie, dass die Bauwerke der Stadt recht akkurat positioniert wurden.
Man hat sich also Mühe gegeben. Für einen Megahit reicht es zwar, doch mehr Originalität wäre besser gewesen. Aber immerhin gibt es einen großen Brüller im Film: Stan Lee - Marvel-Urgestein und seit der Filmfranchise auch Cameo-Veteran, der die Rolle von Freds Vater übernahm. Und natürlich gibt es auch diesmal wieder einen niedlichen Vorfilm: Liebe geht durch den Magen (im Original: Feast [Fressen]), worin sich ein Hund mit dem veränderten Lebenswandel seines Herrchens herumärgen muss... ■ mz