Im August in Osage County - Interview mit John Wells
© Tobis/The Weinstein Company/Claire Folger
Seit mehr als 20 Jahren zählt John Wells zu den produktivsten und erfolgreichsten Machern in Hollywood. Er ist das Mastermind hinter den Erfolgsserien Emergency Room, The West Wing und Third Watch. Derzeit fungiert er als Ausführender Produzent bei der Hitserie Shameless (US). Die gleiche Funktion hatte er auch bei Southland, Mildred Pierce und China Beach inne. Wells' Serien ergatterten rekordverdächtige 270 Emmy®-Nominierungen und gewannen die Auszeichnung 55-mal. Dazu kamen fünf Peabody Awards, Producers Guild Awards und ein Humanitas Preis. ER wurde während seiner 15-jährigen Laufzeit nicht weniger als 122-mal für den Emmy® nominiert, öfter als jede andere TV-Serie.
Als Kinoregisseur debütierte Wells 2011 mit Company Men, einem ebenso realistischen wie packenden Drama aus der Geschäftswelt, das mit Ben Affleck, Kevin Costner, Tommy Lee Jones und Chris Cooper (dieser auch im neuen Werk mit dabei) hochkarätig besetzt war. Geboren in Alexandria (Virginia) und aufgewachsen in Denver (Colorado) nahm Wells zunächst das Studium der Bildenden Kunst an der Carnegie-Mellon University in Pittsburg (Pennsylvania) auf. Anschließend studierte er Film und Fernsehen an der University of Southern California in Los Angeles. Heute gehört er dem Fernsehbeirat der Hochschule an.
In seiner zweiten Spielfilmregie, Im August in Osage County, der Verfilmung des gleichnamigen Broadway-Theaterstücks, konzentrierte er sich auf selbige und überließ die Leinwandadaption Tracy Letts, dem Autor des Theaterstücks selbst, und die Produktion Harvey Weinstein, George Clooney und Grant Heslov.
Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?
Ich hatte das Glück, das Stück am Broadway zu sehen – sogar ein paar Mal! So gut hat es mir gefallen. Trotzdem kam mir zunächst nicht der Gedanke, dass das ein Projekt für mich sein könnte. Eines Tages saß ich dann mit Harvey Weinstein, für den ich zuvor schon den Film Company Men gedreht hatte, beim Lunch. Ich erwähnte einen von mir geschätzten Schauspieler, der damals leider nicht zum Zuge gekommen war, und Harvey erwiderte, dass er ideal für Im August in Osage County wäre. »Wir haben übrigens die Rechte und du solltest Regie führen.« Damit war die Sache besiegelt. Ich traf mich mit dem Autor Tracy Letts, der für das Stück den Pulitzerpreis gewonnen hatte, und kurz darauf mit Meryl Streep und Julia Roberts, und wir waren uns alle einig, dass wir den Film zusammen machen wollten.
Was reizte Sie an der Story des Films bzw. des Bühnenstücks?
Das Stück fügt sich nahtlos in eine große literarische Tradition der amerikanischen Film- und Theaterproduktion ein. Ich komme selbst vom Theater, deshalb war ich bereits mit Tracys Arbeiten vertraut. Der wichtigste Aspekt des Stücks ist für mich das Familienthema. Es ist eine Tragödie, über die wir auch lachen können, und erzählt davon, wie wir einander gegenseitig unterstützen, aber auch verletzen. Es erinnert mich zwar nicht direkt an meine eigene Familie, beschreibt aber sehr genau, was Familienleben im allgemeinen bedeutet. Am Broadway fiel mir immer auf, dass sich die Leute nachher über ihre Familien unterhielten und sich an ihre eigenen Familienmitglieder erinnert fühlten. Tracys Stück besitzt etwas sehr Wahrhaftiges, und das macht es so faszinierend.
Wie liefen das Casting und die Arbeit mit den Schauspielern?
Wir hatten offensichtlich großes Glück beim Casting. Einige der Schauspieler kannten das Stück bereits und wollten unbedingt mitmachen. Tracy Letts ist selbst Schauspieler, was sicherlich einer der Gründe ist, warum er so wunderbare Figuren schreibt. Das Casting war unglaublich einfach – nicht weil es so schnell ging, sondern weil jeder bei dem Projekt dabei sein wollte. Meryl hatte das Stück schon ein paarmal gesehen und war sehr interessiert. Wir redeten über ihre Figur: Wie würden wir diese Frau zeichnen, was war ihr Anliegen, welche Risiken gab es?
Mit Julia führte ich die gleichen Gespräche. Danach traf ich eine ganz Reihe von Schauspielern. Mit Chris Cooper hatte ich bereits zusammengearbeitet und wollte ihn unbedingt für die Rolle des Charles. Mit Margo Martindale war ich selbstverständlich ebenso vertraut wie mit Ewan McGregor und Dermot Mulroney, der übrigens ein früherer Nachbar von mir ist. Mit Julianne Nicholson hatte ich schon gedreht, und Juliette Lewis hatte mit meinem Bruder zusammengearbeitet. Abigail Breslin war in meiner Vorstellung immer noch zehn Jahre alt, aber natürlich war sie längst 15 und perfekt für ihre Rolle.
Benedict Cumberbatch kannte ich nur aus einer BBC-Produktion. Er schickte uns ein Bewerbungsvideo, das er mit seinem iPhone aufgenommen hatte. Es war so bewegend und witzig, dass wir ihn sofort engagierten. Die Zusammenarbeit mit Sam Shepard war großartig. Seine Rolle ist nicht besonders groß, aber mit ihm arbeiten zu dürfen, war für mich die Erfüllung eines Lebenstraums. Seine Stücke hatte ich schon als Student auf die Bühne gebracht.
Misty Upham ist Schwarzfußindianerin. Sie repräsentiert die Umgebung von Osage County, das ursprünglich Indianerland war. Ich hatte sie in Frozen River (- Auf dünnem Eis; 2008; mit Melissa Leo) bewundert, und sie war unglaublich wichtig für unseren Film. Was die Besetzung betrifft, konnte ich mein Glück kaum fassen. Jedes Mal, wenn ein weiterer großartiger Schauspieler durch unsere Tür kam, musste ich mich erst mal zwicken.
Die meistdiskutierte Szene des Films ist der Leichenschmaus, bei dem fast der gesamte Cast an einem Tisch sitzt.
Ja, das ist eins der Kernstücke des Films. Im Drehbuch war die Szene geschlagene 19 Seiten lang. Wir hatten alle ein wenig Angst vor dem Dreh, weil er sehr lange dauern würde. Wir haben dann intensiv geprobt und eine Art Stück im Stück daraus gemacht. Da es ein realer Schauplatz war und keine Bühnensituation, fühlte es sich irgendwann an, als säßen alle wirklich zum Essen da. Es entstand eine familiäre Atmosphäre wie unter Leuten, die sich lange kennen und eine gemeinsame Geschichte haben. Jeder von uns hatte dabei so ein Gefühl von „Bei diesem Dinner war ich doch schon mal. Es war vielleicht nicht genau dieses, aber es ging auch um jemanden, dessen Leben anders verlaufen war als geplant.“
Welche Rolle spielt das Haus in der Geschichte?
Zunächst dachten wir nicht daran, den Film tatsächlich in Oklahoma oder in Osage County zu drehen, weil die Gegend so abgelegen ist. Ich war zuvor schon mal durch Oklahoma gefahren, weil ich aus Colorado stamme, insofern kannte ich die Plains. Aber als ich nun für das Projekt wieder hinfuhr, ging es zuerst nur darum, mir das Original anzuschauen, damit ich beim Location Scouting wissen würde, wonach ich suchen musste. Aber die Gegend war so einzigartig in ihrer schroffen Schönheit und die Menschen dort hatten etwas so Spezielles, dass es sehr schwer werden würde, das zu kopieren.
Also suchten wir vor Ort nach geeigneten Schauplätzen und fanden ungefähr 40 Minuten von Barnesville entfernt dieses wunderbare Haus. Es war genau das, was ich mir vorgestellt hatte – mit einer tollen Veranda und diesen herrlichen Feldern rundherum. Die Besitzer, die selbst dort gewohnt hatten, suchten zu der Zeit einen Käufer, also kauften wir ihnen das Haus ab. Das war ein regelrechter Glücksfall, authentischer geht’s nicht. Während der Proben haben wir die Schauspieler in den jeweiligen Zimmern ihrer Figuren untergebracht und das Essen im Esszimmer serviert. So lebten sich alle buchstäblich ein, und ich denke, diese Interaktion mit der Umgebung macht einen großen Unterschied für den Film.
Was war das Besondere daran, das Bühnenstück für die Leinwand zu adaptieren?
Bei jeder Bühnenadaption besteht das grundsätzliche Problem in der Begrenztheit des Handlungsraums. Unser Drehbuch öffnet die Räume und führt uns auch in die nähere und weitere Umgebung des Hauses. Es war uns wichtig, die Weite des Landes zu zeigen, den besonderen Charakter der Plains, die aus den Menschen dort echte Überlebenskünstler gemacht haben. Das Stück und der Film handeln unter anderem davon, wie wir immer weiter ums Überleben kämpfen, ganz gleich, wie schwer die Umstände sein mögen.
Einige Ihrer Schauspieler haben erklärt, dass sie ihre Figuren und die Familie sehr viel besser verstanden haben, weil der Film an Originalschauplätzen gedreht wurde.
Bei so einem Dreh wachsen alle Beteiligten ganz selbstverständlich zusammen – allein schon, weil sie weg von zu Hause sind. Zugleich lernen sie die Menschen und die Gegend kennen und verstehen sie dann viel besser. Der Blick auf unser Land wird geprägt von einer stark vereinfachenden Unterteilung in „rote“ und „blaue“, also in republikanische und demokratische Staaten. Man glaubt schon vorher zu wissen, wie die Leute dort sind.
Wenn man dann in diese Orte kommt und Zeit mit den Einheimischen verbringt, merkt man, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind. Egal wo wir leben, unsere Erfahrungen sind trotzdem sehr ähnlich. Der Film erzählt eine universelle Geschichte über Familien und wie sie miteinander umgehen. Es ist schön, dass man spürt, dass die Schauspieler sich nicht alles ausgedacht haben, sondern tatsächlich in Osage County waren.
Wie war die Zusammenarbeit mit Ihrem Team?
Wir hatten das große Glück, Adriano Goldman als Kameramann gewinnen zu können. Seine vorherigen Arbeiten wie Sin Nombre und Jane Eyre sind einfach grandios. Wir wollten den Eindruck erwecken, dass dies ein wirklich schönes Land ist, einfach und doch interessant. Es ist so groß und der Horizont ist so weit weg, und man kann überall rechts ranfahren und sich stundenlang umschauen. Das hat Adriano in wunderschönen Bildern eingefangen – genauso wie den Reiz der Innenräume.
Mit unserem Production Designer David Gropman hatte ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten wollen. Mit seiner Crew verwandelte er das Haus in genau den Ort, den wir brauchten - mit Tapeten, Farbe, Teppichen, mit jedem einzelnen Besteckstück in den Schubladen, mit jeder einzelnen Gewürzdose in den Regalen. Wenn Leute uns besuchten, sagten sie immer: »Das sieht ja genauso aus wie bei meinen Großeltern!« Cindy Evans, unsere Kostümdesignerin, hat auf ihrem Gebiet genauso großartige Arbeit geleistet.
Mit George Clooney, einem der Produzenten des Films, verbindet Sie eine lange Geschichte.
Es ist kaum zu glauben, aber seit unserer ersten Zusammenarbeit bei ER sind 20 Jahre vergangen! Er hat seitdem eine großartige Karriere als Schauspieler, Regisseur, Produzent und Autor hingelegt. Als ich gemeinsam mit Harvey Weinstein überlegte, wer den Film produzieren könnte, dachten wir sofort an George und Grant Heslov, die beide so freundlich waren, uns mit ihrer ganzen Erfahrung zu unterstützen. Jean Doumanian und Steve Traxler, die das Stück am Broadway produziert hatten, waren ebenfalls mit von der Partie. ■ mz | Quelle: Tobis