Jersey Boys
© 2013 Warner Brothers/RatPac Entertainment
Jersey Boys erzählt vom Aufstieg und Fall der legendären Rock’n’Roll-Gruppe The Four Seasons und erinnert uns daran, warum wir ihre Songs immer noch im Ohr haben. (Bei manchen ist das über ein halbes Jahrhundert her.) Erstmals werden die überraschenden Ursprünge dieser scheinbar so stromlinienförmigen, typisch amerikanischen Rockband aufgerollt.
Der Film beruft sich auf das Tony®-preisgekrönte, äußerst erfolgreiche Musical, das die Zuschauer weltweit begeistert und inzwischen zu den langlebigsten Inszenierungen in der Geschichte des Broadways gehört. Praktisch alle weiteren Inszenierungen in amerikanischen Städten und im Ausland waren ebenfalls sensationelle Hits. Jetzt fügt Regisseur Clint Eastwood eine weitere Dimension hinzu und bringt die Begeisterung und den Herzschmerz, die Musik und die Nostalgie für das internationale Publikum auf die Leinwand.
Frankie Castelluccio ist ein junger Italiener, der mit seinen Eltern in New Jersey lebt. Jugendliche wie er haben dort nur 3 Aussichten: „Der Militärdienst, der das Leben kosten konnte. Die Mafia war ebenfalls lebensgefährlich... oder berühmt werden.“ Für ihn kamen nur 2 Dinge in Frage. Mit seiner begnadeten, markanten Stimme sang er zusammen mit „The Variety Trio“ (Tommy und Nick DeVito und Nick Massi) in örtlichen Clubs - und ließ sich von Tommy und den Jungs dazu verleiten, zu später Stunde irgendwo etwas „vom Laster fallen“ zu lassen.
Mob-Boss Gyp DeCarlo wird von Frankies Stimme verzaubert und nimmt ihn schützend unter seine Fittiche, während Tommy und Nick immer wieder abwechselnd das Gefängnis besuchen. Frankie verliebt sich in die aufgeweckte Mary Delgado, die ganz genau weiß, wo der Pfeffer wächst, und Frankie zu seinem Künstlernamen Valli motiviert. Kurze Zeit später heiraten die beiden auch und gründen eine Familie. Das Gesangsquartett hat nicht nur Probleme, über Wasser zu bleiben, sondern benennt sich auch immer wieder um, auf der Suche nach dem ultimativen Bandnamen.
Tommy, die antreibende, aber auch gleichzeitig durch seine illegalen Aktivitäten destruktive Kraft der Gruppe, bekommt von seinem Freund Joe Pesci (ebenfalls Jersey-Junge und späterer Schauspieler) Bob Gaudio als Komponisten vorgeschlagen, damit die Gruppe endlich mal einen Hit landet, der sie zum Ruhm führen soll. Tommy bezweifelt zwar, dass der Teenager sie zum Erfolg führt, auch wenn dieser bereits mit „Short Shorts“ einen Hit gelandet hatte. Besonders empört ist er, als Bob zusammen mit Frankie und Nick als Aufnahmebedingung eine gleichberechtigte Partnerschaft fordert. Doch Tommy wird überstimmt und schlägt widerwillig ein.
Die Band bekommt irgendwie einen Vertrag mit Produzent Bob Crewe, der sie jedoch zwingt, für ein Jahr als Background-Chor für andere Interpreten zu singen, bevor er eine Platte mit ihnen aufnimmt. Das Hauptproblem wardabei jedoch immernoch der relativ nichtssagende Gruppenname. Als sie ihn eines Abends vor ihrer Bowlingarena diskutieren, bekommen sie von einer soeben reparierten Leuchtschrift selbiger ein Zeichen. Fortan sollten sie als „The Four Seasons“ Geschichte schreiben.
Unter ihrem neuen Namen schrieb Bob Gaudio die ersten drei Titel, die sie endgültig zu Ruhm brachten: „Sherry“, Big Girls don't cry“ und „Walk like a Man“. Allerdings bedeutete mehr Ruhm für die Gruppe lediglich, mehr Auftritte zu bekommen und zufällig währenddessen die Mädelsband The Angels („My Boyfriend's back“) zu entdecken. Mit „Oh what a Night“ verliert Bob schließlich auch endlich seine Jungfäulichkeit.
Das ständige Umhertouren zehrt schließlich an Frankies Ehe und es kommt zur Scheidung. Doch zu allem Überfluss erscheint am Abend ihres Auftritts in der „Ed Sullivan Show“ ein Kredithai, der Tommys Schulden einfordert...und Steuern. Es kommt zum großen Zwist zwischen Tommy und den anderen, besonders, nachdem Tommy auch noch Nicks neue Freundin Lorraine anbaggert. In Gyp DeCarlos Haus kommt es schließlich zum Knall, als Nick bei der Diskussion um die Bereinigung ihrer Schulden, die Nerven verliert und die Band verlässt. Auch Tommy „verschwindet“ nach Las Vegas, wo die Mafia ihn unter Beobachtung hat, bis irgendwann Tommys Schulden abgearbeitet sind.
Frankie und Bob machen mit Ersatzbandmitgliedern weiter, bis Bob Frankie gesteht, dass er sich im Rampenlicht nicht wohl fühlt und Frankie allein die Aufmerksamkeit bekommen sollte, woraus Frankie Valli & The Four Seasons resultierte. Frankie bleibt weiterhin mit Bobs Songs erfolgreich, wodurch sie schließlich alle ihre Schulden abzahlen können. Doch privat geht es Frankie immer schlechter - seine Freundin Lorraine verlässt ihn aus demselben Grund wie seine Frau und seine Tochter Francine stirbt später an einer Drogenüberdosis...
Diese Handlung wird rückblickend aus dem Jahr 1990 erzählt, in welchem The Four Seasons in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurden und dank Bob Crewe für ein letztes Mal in der Originalbesetzung auftraten. Wie in der Broadway-Show wird die Geschichte in vier Akten erzählt, die die Jahreszeiten dieser außergewöhnlichen Bandehe darstellen und jeweils von einem anderen Bandmitglied erzählt werden.
Clint Eastwood, der im Film übrigens einen Quasi-Gastauftritt hat, während die Hauptprotagonisten im Fernsehen einen Film mit ihm sehen, hat den Film zusammen mit Graham King und Robert Lorenz auch produziert. Er fühlte sich bei diesem Projekt vor allem von der dramatischen Geschichte jenseits der Jacketts, Krawatten und vierstimmigen Songs angesprochen:
»Die Musik der Four Seasons habe ich immer gemocht, also ist es mir wirklich leichtgefallen, mich damit zu beschäftigen. Vor allem aber interessierte mich, wie diese jugendlichen Quasi-Straftäter, die unter widrigen Umständen aufgewachsen sind, eine derartige Erfolgsgeschichte erleben konnten. Im Umfeld der Mafia kamen sie mit dem Gesetz in Konflikt. Einige haben sogar im Gefängnis gesessen. Doch durch die Musik haben sie sich davon distanziert – plötzlich hatten sie ein Ziel.«
Für Produzent Graham King war die Geschichte ein gefundenes Fressen, denn mit Filmen wie Departed – Unter Feinden oder The Town – Stadt ohne Gnade kannte er sich bestens aus im Mafiamillieu und mit Überlebensstrategien auf der Straße. Zu dieser ungewöhnlichen Geschichte wurden dann noch die Songs jener Zeit eingefügt und fertig war der Film. Das bei weitem auffallendste Element der Four Seasons war Frankie Vallis Falsett-Tenor. John Lloyd Young hat mit seiner Darstellung des gefeierten Leadsängers den Tony® gewonnen und spielt Frankie auch im Film:
»Die Songs entsprechen dem Musikstil jener Zeit, aber die Texte sprechen auch heute noch jedermann an, und die Melodien sind echte Ohrwürmer. Das wirklich Faszinierende ist jedoch die Vorgeschichte, aus der heraus sie zu Stars aufstiegen. Diese rauflustigen Rowdys aus Jersey hatten einen Traum, der sie anspornte, ihr Durchsetzungsvermögen von der Straße ins Aufnahmestudio zu verlagern und daraus ein Pop-Phänomen zu machen. Das ist die Legende „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ in Reinkultur.«
Dazu Eastwood: »Frankie Valli hat mir erzählt, wie schwer es damals war, in diesem Umfeld als Sänger ernstgenommen zu werden. Wenn sie im Schein der Straßenlaternen sangen, mussten sie eine Menge Spott ertragen ...natürlich nur, bis sie Erfolg hatten. Aber bis es so weit war, half ihnen nur ihre große Beharrlichkeit.«
Bei der Verfilmung vertrauten die Filmemacher etliche Rollen jenen Schauspielern an, die sich darin bereits auf der Bühne bewährt hatten. Das gilt auch für andere Mitarbeiter der Theaterversionen. Neben Young als Valli spielen Erich Bergen und Michael Lomenda erneut die Original-Bandmitglieder Bob Gaudio und Nick Massi, die sie schon in der Inszenierung für die USA-Tournee dargestellt hatten. Tatsächlich hat keiner der vier Darsteller der legendären Bandmitglieder zuvor eine großen Kinorolle gespielt.
Doch dadurch, dass sie ihre Rollen bereits kannten, fiel es ihnen auch leichter, sie vor der Kamera zu spielen. »Ich habe es sehr genossen, diese Rolle erneut zu spielen und in diesem anderen Umfeld neue Facetten auszuloten«, sagt John Lloyd Young. »An Frankie schätzte ich besonders sein Selbstvertrauen. Er setzt alles daran, um diesem Milieu zu entkommen, denn anfangs ist überhaupt nicht klar, dass ihm das gelingen wird, wenn man bedenkt, wie und wo er angefangen hat. Er ist durchaus nicht vollkommen und muss sich persönlich und beruflich mit ernsten Konsequenzen auseinandersetzen. Aber gerade diese ungeschminkte Aufarbeitung der Figur ist für mich besonders befriedigend.«
Das mit Abstand bekannteste Mitglied des Filmensembles ist Oscar®-Preisträger Christopher Walken – er spielt den Gangster, den Frankie Valli mit seiner Interpretation von „My Mother’s Eyes“ zu Tränen rührt. Obwohl Walken und Eastwood beide schon über 50 Jahre vor der Kamera stehen, sind sie sich überraschenderweise beruflich noch nie begegnet. Wie Walken sagt, »hatte ich ihn auch persönlich noch nie kennengelernt. Aber weil er die Regie übernahm, brauchte ich nicht lange zu überlegen, bevor ich zusagte. Alles, was er anpackt, wird ein Meisterwerk.«
Aber mit der Musik der Four Seasons hatte Walken beruflich durchaus schon zu tun. »Der Song „Can’t take my Eyes off you“ wurde sehr effektiv im Film Die durch die Hölle gehen (The Deer Hunter) eingesetzt«, bestätigt er und bezieht sich damit auf den Film, mit dem ihm 1978 sein Durchbruch gelang. »Und natürlich bin ich mit der Musik der Gruppe aufgewachsen.«
Wie ein roter Faden zieht sich die Musik durch Jersey Boys. Eastwood beschloss, die Titeldarsteller die unvergesslichen Songs live vor der Kamera singen zu lassen, statt die Musik vorab im Studio aufzunehmen. Dazu der Regisseur: »Das bot sich einfach an, weil die meisten von ihnen die Songs schon so oft live gesungen hatten. Wenn sie live singen, dann wirkt ihre Darstellung deutlich emotionaler.«
»Tatsächlich wirkt das sehr unmittelbar«, bestätigt John Lloyd Young. »Als ich ins Filmteam kam, war mir gar nicht klar, wie ungewöhnlich es ist, live vor der Kamera zu singen. Für alle ergab sich dadurch eine interessante Herausforderung. Das Schönste daran: Clint ist ein wahrer Musikliebhaber. Es war wirklich fantastisch zu erleben, wie dieser legendäre Regisseur sich direkt vor uns in einen hingerissenen Zuhörer verwandelte.«
Vincent Piazza, der ohne musikalische Erfahrung zum Filmteam stieß, wusste die Unterstützung seiner Kollegen und des Regisseurs zu schätzen: »John Lloyd, Erich und Michael haben mir bei den Songs sehr geholfen – das war ein Segen. Außerdem konnte ich mich auf hervorragende Ausbilder verlassen. Und natürlich wusste ich, dass ich in Clints Obhut bestens aufgehoben bin. Die Tatsache, dass er an mich glaubte, hat mir das nötige Selbstbewusstsein gegeben.«
Young, Bergen, Lomenda und Piazza arbeiteten mit dem Choreografen Sergio Trujillo zusammen, um die Tanzschritte der Four Seasons nachzuempfinden, die er bereits für die Bühne konzipiert hatte. »Ich habe mich nicht strikt an ihren Tanzstil gehalten«, sagt Trujillo. »Die Jungs stammten ja aus dem Arbeitermilieu. Clint und ich waren uns einig, dass sie nicht zu routiniert wirken sollen. Genau wie in ihrem unverwechselbaren Sound müssen auch im Vokabular ihrer Bewegungen die Ecken und Kanten ihrer Herkunft aus Jersey spürbar sein.«
Trujillos schwierigste Aufgabe war die Choreografie des Filmfinales, das Eastwood sich als eine Art Verbeugung vor dem Publikum vorstellte. Der Regisseur bestätigt: »Nach der Theateraufführung kommen am Ende alle noch einmal auf die Bühne und verbeugen sich. Aber im Film ist das nicht üblich. Ich stellte mir am Ende als Höhepunkt eine Sequenz vor, in der alle Darsteller zur Musik der größten Four-Seasons-Hits singen und tanzen. Das habe ich mit Sergio abgesprochen, und er hat es hervorragend umgesetzt. Sogar Chris Walken steppt als Leisetreter mit«, grinst er. »Das war ein großer Jux.«
Und genau bei diesem Jux kommt endlich Stimmung auf! Während der Film als Drama mit Musik eher daherdümpelt, kommt dann zum Schluss diese Tanzszene, und man bekommt den Eindruck, dass das Ganze auch als Musical hätte funktionieren können. Das Finale entstand auf einer Kulissenstraße des Warner Brothers Studios, in der das Viertel in New Jersey nachgebaut wurde, wo der unverwechselbare Sound der Four Seasons geboren wurde.
Wie schon bei Eastwoods bisherigen Regiearbeiten, besticht der Film durch eine gewisse Qualität, erzählerisch als auch optisch und dramaturgisch, wie man es von Eastwood gewohnt ist. Dadurch wirkt das zweistündige Biopic auch keineswegs langweilig. Einen Großteil hat man es auch den versierten Schauspielern zu verdanken, die durch ihre langjährige Bühnenerfahrung ihrer Rollen immer feiner ausfeilen konnten. Eines bleibt jedoch ein relativ großes Manko des Films: Youngs Stimme hört sich bei all der Perfektion einen Tick zu hoch an, was den Zuschauer immer wieder aus dem Film zerrt. Wer während der Filmdarbietung die Originalsongs im Ohr hat, weiß, wovon ich rede. Zum Vergleich sind die Original-Seasons dann (zum Glück) doch noch im Abspann zu hören.
Clint Eastwood meint abschließend: »Natürlich werden die Zuschauer beim Verlassen des Kinos die Songs summen, und das ist wunderbar. Aber hoffentlich haben sie auch Spaß daran, etwas über die Entstehung dieser Songs zu erfahren und sich an diese vier jungen Männer zu erinnern, deren Leistung selbst unsere Gegenwart noch beeinflusst.«
Und das ist es auch, was zu einem Aha-Effekt führt, besonders für die jüngeren Generationen, die Frankie Valli & The Four Seasons jetzt dadurch entdecken. Produzent Graham King verweist darauf, dass die Songs auch heute noch bekannt sind, weil sie in den vergangenen Jahrzehnten in Dutzenden Filmen zu hören waren oder immer wieder in modernen Coverversionen auftauchen. »Es ist verblüffend, wie zeitlos diese Musik ist. Erst vor ein paar Jahren hörte mein Sohn „Beggin“ von Madcon. Er hatte keine Ahnung, dass dies ursprünglich ein Hit der Four Seasons war.«
Eastwood bestätigt: »Das sind so viele wunderbare Songs: „Sherry“, „Rag Doll“, „My Eyes adored you“, „Big Girls don’t cry“, „Walk like a Man“, „Can’t take my Eyes off you“... Jeder setzt sich deutlich von den anderen ab, obwohl sie alle unverkennbar den Sound der Four Seasons repräsentieren. An jedem Drehtag hatten wir es mit einem neuen Ohrwurm zu tun. Wenn sie „Dawn“ sangen, mussten wir einfach mitsummen. Dann drehten wir eine andere Szene mit „Rag Doll“, ließen uns mitreißen und summten das Lied. Das hat wirklich Spaß gebracht.« ■ mz