Ganz Hollywood ist im Musicalfieber! Damien Chazelle, dessen Einstand Whiplash vor zwei Jahren drei Oscars® einheimste, wagte sich diesmal an eine Musical-Hommage - mit neu komponierter Musik! Er wollte wissen, ob es ihm gelingt, den Zauber und Schwung der schönsten französischen und US-Musicals der Goldenen Ära in die viel komplizierter gewordene, abgestumpfte Gegenwart zu übertragen. Dabei verbindet er die bonbonfarbenen Musicals von Jacques Demy mit seinen Lieblingselementen der Musicals der 40er, 50er und 60er Jahre und seiner Lieblingsstadt: Los Angeles.
Damien Chazelle präsentiert L.A. nun als Muse, eine wuselige Hintergrundkulisse aus endlosem Straßenverkehr und schicksalhaften Begegnungen, immer auf der Suche. Eine Stadt, in der jeder seinen Träumen nachjagt, manchmal erfolgreich, manchmal vergeblich. Der Film beginnt, wie alles in L.A., auf dem Freeway. Dort begegnen sich Sebastian und Mia zum ersten Mal - genervt hupend im Stau, was nur zu gut zu ihren festgefahrenen Lebenssituationen passt.
Beide hängen ihren nahezu unerreichbaren Träumen nach, wie so viele in der Stadt der Stars. Sebastian versucht, Menschen des 21. Jahrhunderts für traditionellen Jazz zu begeistern. Mia wünscht sich, nur ein einziges Vorsprechen zu überstehen, ohne vorzeitig unterbrochen zu werden. Noch ahnen beide nicht, dass das Schicksal sie bald gemeinsam zu Höhenflügen inspiriert, die sie alleine nie geschafft hätten...
»Mir war es wichtig, dass es ein Film über Träumer wird. Über zwei Menschen, die von ihren großen Träumen angespornt werden, dadurch zusammenkommen, und durch sie wieder auseinandergerissen werden«, sagt der Regisseur. »Ich wollte mit La La Land eine Liebesgeschichte erzählen und gleichzeitig eine moderne Version der Musicals abliefern, die mich als Kind begeistert haben. Ich wollte mit Farbenpracht, Sets, Kostümen und allen expressionistischen Elementen von damals eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt erzählen.«
Gleich zu Beginn, wenn Sebastian Mia im Stoßverkehr daueranhupt, was später zu einem originellen Wiederholwitz und Erkennungsmerkmal wird, kommt eine der aufwändigsten Choreografien der Filmgeschichte zu Tage. »Ich wusste, dass Damien die Szenen auf klassische Weise drehen wollte, also ohne Schnitte. Und dabei wurde mir ganz schwindlig. Ich kam irgendwann an den Punkt, an dem ich dachte: OMG, wie kriegen wir das bloß hin?«, lacht Choreografin Mandy Moore.
Die Eröffnungsnummer „Verkehr“, in der ein Stau auf einem Freeway unvermittelt zur Auto-Nummern-Revue wird, war besonders kompliziert. »Da steckt wirklich viel Arbeit drin«, erinnert sich Mandy Moore. »Das ganze Büro war voller Post-Its, auf denen Automarken vermerkt waren, und wer auf welchem Wagen stehen sollte, und welchen Wagen man dafür verstärken musste. Ein logistischer Alptraum!«
Außerdem musste die Sequenz absolut reibungslos über die Bühne gehen, da ihnen nur ein sehr enges Zeitfenster zur Verfügung stand, in der sie die Freewaykreuzung nutzen durften... Das bedeutete: Proben, Proben, Proben. Ryan Gosling erinnert sich: »Alles musste perfekt klappen, sobald die Kameras liefen. Wir durften uns keinen einzigen Fehltritt erlauben. Wir haben drei Monate geprobt, damit wir Damiens Vorstellungen in einem einzigen Take erfüllen konnten.«
Es ist schon eine wahnsinnige Nummer, doch die Tonmischung lässt den Liedtext irgendwie untergehen, dass man über bildstörende Untertitel den Inhalt mitlesen muss, weil man das schnell Gesungene akustisch kaum versteht. Man bekommt bei all der Farbenfröhlichkeit auch den Eindruck, irgendwo Louis de Funès im roten Trainingsanzug herumtanzen zu sehen. Unter dem Motto „Alles tanzt nach meiner Pfeife“ gelang Herrn Chazelle eine umwerfend mitschwingende Tanzszene bei 40°C auf dem Freeway auf den heißen Autodächern.
Es stellte sich heraus, dass Ryan Gosling ein Musical-Fan war, bevor er zu La La Land stieß. Er erinnert sich: »Ich war total begeistert, dass Damien einen Film im Stil der Fred-&-Ginger- und Gene-Kelly-Ära drehen wollte. Genau diese Musicals haben mich immer sehr berührt. Ich fand es fantastisch, dass La La Land die gleiche Ästhetik und Verspieltheit haben sollte, weil es immer ein heimlicher Wunsch von mir gewesen ist, so etwas zu drehen.«
Außerdem fand Herr Gosling es anziehend, einen Mann zu spielen, der mit jeder Faser seines Körpers eine Kunstform verehrt, die in unserer gnadenlos schnelllebigen Popkultur eigentlich dem Untergang geweiht ist. »Sebastian widmet sich voll und ganz dem Ziel, der größte Jazzpianist zu werden, obwohl er ahnt, dass die Zeit eigentlich längst vorbei ist. Seine Helden wurden vor siebzig Jahren geboren. Jetzt ist ein Jazzpianist dazu verdammt, in Bars und Kneipen zu spielen, in denen die Gäste quatschen statt zuzuhören«, sagt er. »Welche Kompromisse bist du also bereit einzugehen, um der Künstler zu werden, der du immer sein wolltest?«
Mit Sebastian konnte er sich sofort identifizieren, aber richtig ernst wurde es für Herrn Gosling erst, als er die Rolle des begnadeten Pianisten annahm. Er stürzte sich mit Haut und Haar in die Vorbereitungen, nahm monatelang Klavierunterricht und trainierte unermüdlich klassische Tanzschritte mit einem modernen Dreh. Komponist Justin Hurwitz war beeindruckt: »Wie Ryan das Piano meistert, ist schon fast absurd großartig. Ich kann es immer noch nicht fassen«, sagt er. »Sein unerschöpfliches Engagement am Klavier, von seiner Darstellung, dem Gesang und Tanz ganz zu schweigen, war spektakulär. Ryans Ehrgeiz und was er damit alles erreicht hat, war für mich eine der größten Überraschungen während der Arbeit an La La Land.«
Musikproduzent Marius de Vries bestätigt lapidar: »So etwas habe ich noch nie erlebt!« Und Damien Chazelle ergänzt: »Es gibt keine Nahaufnahme von Sebastians Händen im ganzen Film, die wir gedoubelt haben könnten. Es ist immer Ryan. Die Rolle erforderte einen Schauspieler mit gewaltigem Arbeitsethos, um glaubwürdig als Musiker bestehen zu können. Und Ryan ist dieses Risiko nicht nur eingegangen, sondern hat es bravourös gemeistert.«
Als kleines Bonbon hat schließlich J.K. Simmons einen Kurzauftritt als Chef des Lokals, in dem Mia Sebastian, durch die Musik angezogen, zufällig wiedertrifft. In Whiplash trietzte er Miles Teller, damit dieser sein Schlagzeug im Schlaf beherrscht, und hat hier die Rolle übernommen, die Dustin Hoffman in Chef inne hatte, mit dem Unterschied, dass diesmal nicht der Koch ein Standardmenü kochen, sondern der Pianist eine Standard-Playlist spielen sollte, was bei beiden Hauptfiguren der jeweiligen Filme zur Folge hatte, dass ihnen gekündigt wurde.
Auch Sänger und Liedtexter John Legend, selbst gefeierter Musiker, der hier seine erste große Filmrolle spielte, lobt Ryan Goslings Fortschritte am Klavier: »Mann, war ich eifersüchtig. Ich sah ihm zu und dachte: Wow, er ist verdammt gut! Dabei hat er erst vor wenigen Monaten zu spielen angefangen. Wirklich beeindruckend!« Er spielt den Musiker Keith, der Sebastian in seiner aufstrebenden Band „The Messengers“ aufnimmt und ihn dadurch weit von Mia entfernt. Legend war auch Mitautor des Lieds „Start a Fire“, der die Messengers berühmt macht.
Ihn faszinierte der Konflikt zwischen Keith und Sebastian, die sich darüber streiten, wie man sich an die schnelllebige Kultur anpassen soll. »Sie sind beide sehr talentiert und lieben Jazz«, stellt John Legend fest. »Aber sie geraten schwer aneinander, weil sie unterschiedliche Philosophien verfolgen. Keiths lautet: Lass uns nicht nur etwas bewahren, das vor 50 Jahren stattgefunden hat, sondern in die heutige Zeit überführen. Sebastian wiederum will einzig und allein der Tradition treu bleiben... Keith hofft, er kann Sebastians unglaubliches Talent nutzen, ohne sich mit seiner schwierigen Persönlichkeit auseinandersetzen zu müssen.«
Auf Ryan Gosling wirkte Emma Stones Besetzung fast surreal: »Emma ist einzigartig, mit niemandem zu vergleichen, und das überträgt sich auf Mia. Man leidet mit, wie sie sich in L.A. abmüht und auf ihre große Chance hofft, weil man merkt, wie besonders und einmalig sie ist. Aber man spürt auch sofort, dass Mia für die Unterhaltungsindustrie vielleicht zu herausragend und nicht austauschbar genug ist. Außerdem ist Emma eine hervorragende Tänzerin und ich habe mich oft buchstäblich an ihre Fersen geheftet.«
Emma Stone betont, dass es bei den Tanzschritten nicht um Perfektion ging: »Unsere Figuren sind erfolglose Künstler, denen nie abverlangt wurde, brillant tanzen und singen zu können. Damien war es viel wichtiger, dass unsere Beziehung lebendig und ursprünglich wirkt, auch wenn wir Teil dieser überwältigenden Tanzdarbietungen waren. Deshalb waren kleine Patzer und Aussetzer geradezu erwünscht.«
Was Mia die Liebe zu Sebastian bedeutet, sieht Emma Stone so: »Mia und Sebastian inspirieren sich beide gegenseitig, die Dinge anders anzugehen. Sie befinden sich beide in einer kreativen Sackgasse, als sie sich kennenlernen. Aber Sebastian hat eine wunderbare Idee für Mia, er fragt: „Warum erfindest du keine eigenen Geschichten für dich als Schauspielerin?“ Und ich glaube, genau diesen Anstoß braucht sie, weil sie längst vergessen hat, dass sie diese Fähigkeit in sich trägt. Gleichzeitig animiert sie Sebastian, in seiner Kunst Wege zu gehen, auf die er selbst nie gekommen wäre. Letztendlich eröffnen sich beide gegenseitig neue Walten, an die sie sich von allein niemals herangetraut hätten.«
Emma Stone und Ryan Gosling haben bereits in dem Komödienhit Crazy, Stupid, Love (2011) und dem Drama Gangster Squad (2013) zusammen gespielt. Daher liegt es nahe, sie als Nachfolger von Tom Hanks und Meg Ryan oder Spencer Tracy und Katharine Hepburn zu betrachten. Doch auch wenn beide Schauspieler hinter der Kamera perfekt miteinander auskommen, so überträgt sich die Chemie der beiden zueinander nur bedingt auf die Leinwand. Beide spielen, singen und tanzen, was das Zeug hergibt, doch mag es am Drehbuch liegen oder an einer Bruder-Schwester-Aura, die die beiden umgibt - romantische Gefühle erzeugt hier zumindest nur die Musik. Ein Harry-&-Sally-Effekt bleibt aus.
Man muss es Damien Chazelle hoch anrechnen, dass er mit La La Land ein schwungvolles, originelles Musical geschaffen hat, dessen Hauptdarsteller sich dermaßen ins Zeug gelegt haben, dass alles nahezu perfekt wirkt. Es ist nicht nur eine beschwingte Komödie, sondern auch ein Beziehungsdrama, das Herr Chazelle hier zusammengefügt hat. Der Film erzählt vom Ausbrechen aus dem Alltag und der Maschinerie der Stadt und davon, dass man irgendwann auf den Boden der Tatsachen zurückkommen muss.
Die Tanzszenen und die Bauten erinnern an die großen Erfolge der oben genannten Zeiten des vergangenen Jahrhunderts. Die Kostüme sind teilweise so bunt, als wäre der Film von den United Colors of Bennetton gesponsert. Aber zu jenen Zeiten waren die Filme einfach so bunt, weil damals nunmal der Farbfilm Einzug hielt. Daher kann ich den Hype um den Film voll nachvollziehen. Doch irgendetwas fehlt dem Film - die perfekten Übergänge! Oftmals wirken die Musical-Einlagen wie Intermezzi. Einzig die Passage mit der Griffith-Sternwarte, die die beiden erst im Kinofilm sehen und nach einem Filmriss die Szene selbst nachstellen, wirkt da stimmig und fließend.
Was bei einem Musical jedoch ziehen muss, ist die Musik! Was nach der Erstbeschau hängen bleibt, sind das Oscar®-nominierte „City of Stars“, zum Teil die Eröffnungsnummer „Another Day of Sun“, die schwungvoll-melancholische Filmunternahlung von Justin Hurwitz und die von den Musikern gespielte Jazzmusik, und natürlich die Hits der 80er Coverband, mit der Sebastian nach seinem Rausschmiss auftritt. Der Rest ist weniger eindringlich, aber dennoch nicht schlecht.
Trotz aller Lobhudelei hat man Musicals schon stimmiger erlebt, denn im Fernsehen gibt es diese Tradition von Musicalepisoden diverser Serien, die Joss Whedon damals gekonnt in seiner Serienadaption zu Buffy - The Vampire Slayer geboren hat. Dennoch kann La La Land als perfekter Film für romantische Verabredungen benutzt werden. Und wenn am Ende nach einem Was-wäre-wenn-Zusammenschnitt, in dem in wenigen Minuten der Film noch einmal mit einem anderen Verlauf gezeigt wird, dann doch noch ein Happy End zustande kommt, weiß man: Die Welt ist wieder in Ordnung, und: Wir können den Film mögen. Dass jetzt aber alle ausrasten und den Film 14 Mal für den Akademiepreis nominieren, ist schlicht und einfach übertrieben! ■ mz