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07 | 14 | 21 | 28
Anomalisa
Michael Stone fliegt nach Cincinatti, wo er eine Motivationsrede halten soll. Der Abend im Hotel ist einsam. Er nimmt Kontakt auf zu einer verflossenen Liebschaft, die er Jahre lang nicht gesehen hat. Der Treff in der Hotelbar ist ein Reinfall, aber Michael lernt dort zwei weibliche Fans aus der Provinz kennen, die nur wegen ihm in die Stadt gereist sind. Er nimmt die unscheinbare Bella mit auf sein Zimmer - und verliebt sich wider Erwarten in die unsichere Frau. Doch am nächsten Morgen sieht alles wieder anders aus.
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Von Charlie Kaufman, dem Meister der melancholisch-rätselhaften Geschichten, Oscar®-prämiert für sein Drehbuch zu Vergiss mein nicht!, Oscar®-nominiert für Adaption und Being John Malkovich, kommt mit Anomalisa gleich zu Jahresbeginn der vielleicht ungewöhnlichste Film des Jahres in die Kinos. Mit Puppen in Stop-Motion-Technik gedreht, ist Anomalisa ein typisch kaufmaneskes Kinoexperiment, das auf poetische Weise die menschliche Psyche erforscht, den Zuschauer lustvoll auf falsche Fährten lockt und dabei glänzend unterhält.

Ursprünglich als Hörspiel konzipiert und 2005 bei Carter Burwells „Theater of the New Ear“-Projekt auf Bühnen in New York und Los Angeles uraufgeführt, tat sich Kaufman für die Kinofassung mit dem Stop-Motion-Experten Duke Johnson zusammen. Der Film wurde von mehr als 5.000 Charlie-Kaufman-Fans im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne auf kickstarter.com finanziert. Mit über 400.000 US-Dollar wurde fast doppelt so viel Geld eingenommen wie erhofft.

Nur drei Schauspieler brauchten Kaufman und Johnson: David Thewlis, Jennifer Jason Leigh und Tom Noonan, die die Geschichte bereits zusammen in New York, London und Los Angeles als „Soundplay“ im Rahmen des aufregenden Projekts „Theatre of the New Ear“ aufgeführt hatten. Das Ergebnis ist ein Stück Kinomagie, das bei den Festivals von Telluride und Toronto für Begeisterung sorgte, in Venedig mit dem „Großen Preis der Jury“ ausgezeichnet wurde und für den Golden Globe® wie auch den Oscar® nominiert ist.

»Du bist die einzige Person auf der Welt.« - Michael Stone

Dieser Satz ist quasi der Knackpunkt der ganzen Geschichte. Zu Beginn rätselt man noch, warum Michael Stone der Einzige ist, der eine distinktive Stimme besitzt, während alle anderen Figuren, ob Mann, Frau oder Kind, die gleiche Stimme und das gleiche Gesicht besitzen. Das wirkt hin und wieder etwas verwirrend. Erst als er auf Lisa trifft, die ebenfalls eine einzigartige Stimme besitzt, kommt man dahinter, was Charlie Kaufman damit bezwecken wollte.

Michael Stone ist festgefahren in seinem Vertreterleben, hat eine Frau und einen Sohn, die zuhause auf ihn warten. Er soll eine Dankes- und Motivationsrede halten, kommt jedoch nicht um seine Depressionen des immer wieder gleich ablaufenden, „langweiligen“ Alltags, weshalb wir auch seine Umwelt als Einheitsbrei mitbetrachten. Das Ganze geht schließlich so weit, dass er in einem Albtraum sein Gesicht verliert - ein recht leichter Effekt für das Puppen-Team.

Das Team strebte in jedem Bereich der Produktion danach, die Welt der Geschichte so echt wie möglich wirken zu lassen. Die Designer legten ihr Augenmerk auf jedes noch so kleine Detail wie die funkelnden Augen der Figuren, ihre derben Züge, die dicken Hände und ein lebensechtes Verhalten. »Wir wollten, dass die Körper echt rüberkommen«, sagt Charlie Kaufman. »Die Puppen sind winzig. Um die Augen lebendig wirken zu lassen, mussten die Animatoren sehr präzise Bewegungen mit Nadeln vollführen. Unser Ziel war es, dass die Figuren Seele haben und sehr ausdrucksstark sein sollten.«

Gezielt ließen die Filmemacher die Nahtstellen in den Gesichtern von Michael, Lisa und den anderen Figuren sichtbar, um die Animation von gängiger Stop-Motion-Ware abzuheben, in der die beiden getrennten Gesichtsplatten einer Figur (die Stirnpartie und das untere Gesicht) meist digital übermalt werden, um einen geschliffeneren, menschenförmigeren Look entstehen zu lassen. Charlie Kaufman und Duke Johnson gefiel der ungeschminkte Ansatz besser, weil sie fanden, dass Michael Stones existenzielle Zwickmühle auf diese Weise auch visuell eine perfekte Entsprechung fände. Dadurch wirkt es auch so, dass man denkt, die Figuren tragen allesamt eine Brille.

»Wenn man sich die hoch budgetierten Animationsfilme ansieht, bei denen Stop-Motion zum Einsatz kommt, werden die Puppen in der Postproduktion so glattgebügelt, dass man sie ohne Weiteres auch durch komplett computeranimierte Figuren ersetzen könnte«, erklärt Kaufman. »Es ist nicht so einfach, einen Unterschied zu erkennen. Wir dagegen wollten nicht gegen das von uns gewählte Material kämpfen. Diese Entscheidung entspricht auch symbolisch und metaphorisch dem, was wir mit diesem Film versucht haben, was wir ausdrücken wollen. Die Nahtstellen sollten also bleiben!«

Ganz besonders interessant ist dabei auch, dass sich die Puppen „nackig“ machen. Wenn Michael unter der Dusche steht und herauskommt, sich das Handtuch umschnallt, oder auch beim Sex mit Lisa - die nackten Körper sehen dabei sehr real aus, und was dabei zu bemerken ist: Michael wie auch Lisa haben keine Model-Körper, sondern ordentlich Bauch bzw. -Ansätze! Dadurch wirken die Figuren zusätzlich näher am wahren Leben.

Der Film erinnert vom Setting her (einsamer Mann in einer fremden Stadt in einem Hotel, der eine junge Frau kennenlernt) sehr an Lost in Translation, in dem Bill Murray in Tokio auf Scarlett Johansson trifft. Anomalisa besitzt auch viel Ruhe - nicht nur akustisch, auch in der Dramatisierung. Die Musik von Carter Burwell wird spärlich eingesetzt. In der übrigen Zeit vernimmt man die Geräusche aus Michael Umgebung, die so echt wirken, dass man praktisch mit Michael Stones Ohren hört.

Wie ein roter Faden wird auch Werbung für Cincinnati gemacht. Immer wieder wird der Zoo erwähnt, den man sich ansehen, oder das leckere Chili, offenbar das Lokalgericht, probieren sollte. Das ist dann aber auch so das Einzige im Film, das ein wenig nach Komödie riecht. Der Rest ist die Reise in die innere Psyche dieses Mannes, der letztlich auch keinen Ausweg aus seiner Misere findet, denn am Morgen nach dem One-Night-Stand mit Lisa, beginnt sie ebenfalls, sich wie alle anderen Figuren anzuhören - sehr netter Effekt mit der doppelten Stimme.

Anomalisa fügt sich nahtlos ins bisherige Œuvre von Kaufmans oben genannten bedeutsamen Filmen ein - allesamt moderne Klassiker, in deren Mittelpunkt vom Glück verlassene, aber durch und durch unvergessliche Protagonisten stehen, die unter surrealen, schwarzhumorigen Umständen um ihre Seele ringen. Beginnend mit seinem raffiniert-verspielten Titel, in dem bereits die tiefe Liebe des Autor/Regisseurs für Wortspiele und Sprache zum Tragen kommt, spricht Anomalisa dessen typische Themen an: Isolation, Einsamkeit, Melancholie, Depression und die Suche nach Verbindung, oder, wie Kaufman es nennt, »eine Art Hoffnung auf Verbindung«. ■ mz

Drama/Animation
USA 2015
91 min


mit den Stimmen von
David Thewlis (Michael Stone) Frank Röth
Jennifer Jason Leigh (Lisa Hesselman)
Tom Noonan (alle anderen)
u.a.

drehbuch
Charlie Kaufman
Duke Johnson

musik
Carter Burwell

kamera
Joe Passarelli

regie
Charlie Kaufman
Duke Johnson

produktion
Paramount Animation
Starburns Industries

verleih
Paramount

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