Der Mohnblumenberg
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Der neueste Animationsimport aus dem japanischen Hause Studio Ghibli, das von Meisterregisseur Hayao Miyazaki gegründet wurde und bekannt ist für seine fantastischen Welten, zeigt mal zur Abwechslung eine ganz andere Welt - die echte. Zusammen mit Keiko Niwa zeichnet Hayao Miyazaki für das Drehbuch verantwortlich. Die Regie übernahm sein Sohn Goro Miyazaki (Die Chroniken von Erdsee).
»Diesem Projekt liegt eine Comic-Serie zugrunde, die um 1980 herum in dem japanischen Magazin „Nakayoshi“ zu lesen war. „Nakayoshi“ ist ein monatlich erscheinendes Shojo-Manga, ein Comic-Heft für junge Mädchen«, erklärt Hayao Miyazaki. »Erzählt wurde in „Der Mohnblumenberg“ die Geschichte einer Liebe zwischen zwei Highschool-Schülern, die sich plötzlich mit lang zurückliegenden Geheimnissen ihrer Eltern konfrontiert sehen.«
Wir schreiben das Jahr 1963 - das letzte Jahr der Nachkriegszeit, ein Jahr vor den 18. Olympischen Spielen in Tokio. Umi ist 17 Jahre alt und Schülerin in der Konan-Schule in Yokohama. Ihre Mutter ist Professorin und arbeitet in Amerika. Umi lebt in einem großen Haus auf einem Hügel über dem Hafen, kümmert sich um ihre Geschwister und ihre Großmutter. Tagsüber, wenn Umi in der Schule ist, kümmert sich eine Haushälterin um die Wäsche und den Hausputz.
Umis Vater kam auf einem Versorgungsschiff im Korea-Krieg ums leben. Er brachte ihr bei, wie man Flaggen hisst und was sie bedeuten. Trotzdem er nie wieder nach hause kam, hisst Umi jeden Morgen die Flaggen „U“ und „W“ (stehen für „Gute Reise!“), um die vorbeifahrenden Schiffe zu grüßen. Ein Schlepper, der täglich durch den Hafen fährt, grüßt sie mit „UW“ zurück, für Umi inzwischen ein liebgewonnenes Ritual.
Eines Morgens zieht der Schlepper mehr Signalflaggen auf. Zu den zwei Buchstaben „UW“ fügt er „MER“ hinzu. Das ist ein Wortspiel, an Umi adressiert, denn „MER“ ist das französische Wort für Meer, und gleichzeitig ist es eine Übersetzung von Umis Namen, der im Japanischen „Meer“ bedeutet. Der Junge, der die Flaggen auf dem Schlepper seines Vaters bedient, weiß offenbar, wer die Flaggen auf dem Hügel hisst. Eines Tages steht in der Schülerzeitung ein Gedicht über „das Mädchen, das die Flaggen hisst“. Der Verfasser dieses Gedichts ist Shun, einer der Redakteure der Zeitung.
Umi und Shun verlieben sich ineinander, als Shun mit einem wagemutigen PR-Sprung vom Dach des Clubhauses in den Pool springt. Das „Quartier Latin“, wie man es nennt, soll abgerissen und neu gebaut werden, was die Parallelhandlung des Films ist. »Man ahnt, dass ... die Autoren des Manga hier ihre persönlichen Erfahrungen mit der japanischen Studentenbewegung verarbeiteten: In der Highschool der zwei Helden werden Schülerversammlungen abgehalten, Proteste initiiert, man sieht die zahlreichen Splittergruppen, denen die Aufrührer angehören, und aus dem Umgang der Schüler miteinander lässt sich herauslesen, mit welcher Arroganz die jeweiligen Fraktionen einander entgegentraten«, so Hayao Miyazaki.
Während sich Umi und Shun Schritt für Schritt näher kommen, entdeckt Shun eines Tages im Arbeitszimmer von Umis Mutter ein Bild, das für Verwirrung sorgt: Sind die beiden womöglich Geschwister? Shun entfernt sich von Umi, bis dieser Sachverhalt geklärt ist. Währenddessen laufen die von Umi initiierten Renovierungsarbeiten des Clubhauses auf Hochtouren.
Als das „Quartier“ fertig aufpoliert ist, kommt die Hiobsbotschaft, dass das Gebäude trotzdem abgerissen werden soll. Also machen sich Umi, Shun und sein Redaktionskommilitone Shiro auf nach Tokio, um den Besitzer des Gebäudes davon zu überzeugen, dass ein Abriss niemandem zugute kommt. Nachdem der Besitzer einwilligt, ihnen und dem Clubhaus am nächsten Tag einen Besuch abzustatten, gibt es plötzlich Hoffnung für das „Quartier Latin“. Ob es aber Hoffnung für die Liebe von Shun und Umi geben wird, hängt davon ab, ob sie das Geheimnis ihrer beider Herkunft aufdecken können...
Dieses für die heutige, schnelllebige Zeit mit ihren Blockbustern und lustig-schnellen Kinderfilmen eher ausfallend ruhige Drama ist nicht nur eine klassische Liebesgeschichte zweier Teenager, die plötzlich herausfinden müssen, dass sie Geschwister sein könnten, sondern auch ein Stück japanischer Geschichte.
»Wir haben die Handlung in das Jahr 1963 gelegt, also in das Jahr vor den Olympischen Sommerspielen von 1964, die in Tokyo stattfanden. Das war die Zeit, als die ersten Nachkriegskinder zu Teenagern von fünfzehn, sechzehn Jahren herangewachsen waren«, beschreibt Drehbuchautor Miyazaki die damalige Zeit. »Die 18. Spiele markierten den Wechsel in eine bessere Zukunft: Das Chaos, das nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte, hatte sich gelegt, die Armut wich allmählich einem wirtschaftlichen Aufschwung.«
Mit schönen Bildern und seichter, zeitgenössischer Musik bekommt man einen kleinen Einblick davon, wie das Leben vor 50 Jahren dort aussah. Die dramatisierte, skandalös angehauchte Liebesgeschichte ist liebevoll gezeichnet, auch eher zurückhaltend erzählt und an sich echt schön. Dass der Film jenseits von Festivals oder Heimvideo kaum Massenpublikum finden wird, liegt auf der Hand: Dafür ist der Film zu seicht, unspannend und passt nicht in irgendeine Marketingzielgruppe. Der Fakt, dass der Film zwei Jahre gebraucht hatte, um hierzulande ins Kino zu kommen, spricht da ganz für sich. PS: Fans sollten gegen Ende auf das Schiff achten. Dort ist eine Plakette mit der Aufschrift „Ghibli“ am Frontturm aufgezeichnet. ■ mz