Freitag, 26. April 2024

The Place beyond the Pines


Luke bereitet sich gedanklich auf den Banküberfall vor.
© StudioCanal/Focus Features
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Nach dem Oscar®-nominierten Blue Valentine wendet sich Regisseur Derek Cianfrance in seinem dritten Spielfilm erneut schwierigen Beziehungen innerhalb zweier Familien zu. Über einen Zeitraum von 15 Jahren entspinnt sich sein episches, von Sean Bobbitt (Shame) grandios fotografiertes Kriminaldrama um Schuld, Sühne und Vergebung. Der Regisseur über den Film:

Luke, 1. Akt

»Vor ein paar Jahren, als Ryan und ich an dem Skript zu Blue Valentine arbeiteten, erzählte er mir von diesem Tagtraum, den er hatte, wie er mit Hilfe eines Motorrads einen Bankraub begehen würde. Ich sagte: „Du nimmst mich wohl auf den Arm, denn genau diesen Film schreibe ich gerade.“ Wir hatten beide exakt dieselbe Vorstellung wie so ein Bankraub ablaufen müsste. Es war einer jener zahlreichen Momente, bei dem ich wusste, dass wir prädestiniert waren, zusammen Filme zu machen.

Luke ist ein Kerl mit dunkler, mysteriöser Vergangenheit. Er hat schon alles gesehen und getan – und es ist ihm auch schon alles Mögliche zugestoßen. Er ist geschädigt, verletzt. Das manifestiert sich nicht in Narben, sondern in Tattoos. Sie zeugen davon, welchen Schmerz er schon erlebt hat. Er besitzt diese Art mythischer Präsenz, die die Girl-Groups der 1960er Jahre, etwa die Shangri-Las, besungen haben. Er ist eine Art wandelnder Widerspruch, innerlich verletzt und vernarbt, äußerlich gepanzert durch Muskeln, Tattoos, seine Haare, sein Charisma... Er ist eine große Katze in einem zu kleinen Käfig – missbraucht, gefährlich und absolut unwiderstehlich.

Dieser Kerl mit all seinen Schmerzen reist als Motorradstuntman mit einem Jahrmarkt von Stadt zu Stadt, von Mädchen zu Mädchen, von Herzschmerz zu Herzschmerz und dann landetet er in diesem Ort, in dem er schon vor einem Jahr war: in Schenectady. Hier trifft er Romina wieder, das Mädchen mit dem er eine kurze Affäre hatte – und sie hat inzwischen ein Baby. In dem Augenblick, in dem er das Baby sieht, und das Baby ebenso ihn, ändert sich sein Leben schlagartig.

Dieser befleckte Typ sieht dieses unschuldige Wesen, das er gezeugt hat. Es ist rein, ohne Hass, ohne Sünden, frei von Zynismus. Er traut sich nicht einmal das Baby zu halten, weil es so sauber ist. Plötzlich hat sein Leben Bedeutung. Nur, er besitzt nicht die Fähigkeiten, ein richtiger Vater zu sein. Er wird zur Macht der Liebe – einer gefährlichen Macht. Die Mutter des Kindes, Romina, ist innerlich zerrissen, weil sie diesen Kerl wirklich liebt. Aber sie weiß, dass er gefährlich ist. Also muss sie sich zwischen Sicherheit und Liebe entscheiden, zwischen Vater und Sohn.«

Luke beschließt, Verantwortung für seinen Sohn zu übernehmen – auf seine Art: Mit Hilfe des Hinterwäldler-Mechanikers Robin beginnt er, Banken auszurauben – und setzt dabei auf sein fahrerisches Können. Bei den Überfällen geht er immer dreister vor, bis eines Tages ein Coup schief läuft und Luke sich in ein Haus flüchten muss, in dem er vom Polizisten Avery Cross gestellt wird... Regisseur Derek Cianfrance weiter:

Avery, 2. Akt

»Avery ist ein Kerl, der seit seiner Jugend weiß, wo es lang geht. Er geht mit gutem Beispiel voran und ist für seinen tadellosen Charakter bekannt. Er ist ein netter Kerl, gerecht, aufrichtig, stark und besitzt einen hohen IQ. Er wurde in die beste Gesellschaft der Stadt hineingeboren, denn Avery ist der Sohn des mächtigen örtlichen Richters. Jeder, der ihn kennt, ob es sein Vater oder sein Highschool-Herzblatt ist, nehmen an, dass er in die Fußstapfen des Papas treten wird. Aber Avery will seinen eigenen Weg gehen. Gegen den Willen des Vaters bricht er die Schule ab und will sich selbst von Grund auf neu erfinden. Niemand versteht, warum er freiwillig auf alle seine Privilegien verzichtet. Als der Zuschauer Avery kennenlernt, ist er ein 28-jähriger Nachwuchs-Cop.

Als Polizeianfänger begeht Avery seinen ersten Fehler. Dies beschämt ihn sehr. Er kann nicht einmal darüber sprechen. Er muss damit fertig werden, dass er erstmals etwas falsch gemacht hat und fühlt sich extrem schuldig. Seine Umwelt hingegen sieht in ihm einen echten Helden. Er aber fühlt sich wie ein Betrüger, ein Lügner – jemand, der vollkommen unfähig ist. Dieser innere Konflikt führt nicht nur dazu, dass er sich mit seiner Frau und seinem Sohn entzweit, auch auf der Arbeit fühlt er sich wegen der Korruption in seiner Abteilung zusehends unwohl.

So muss er sich entscheiden, gegen seine inneren Dämonen anzukämpfen oder gegen die Menschen in seinem Umfeld vorzugehen, und weil er ein moderner Mann ist, beschließt er, seine eigenen Probleme zu begraben und sich stattdessen mit den Problemen der Welt herumzuschlagen. Er tut gute Dinge. Er ist ein guter Mann. Tragisch dabei ist aber, dass er, anstatt seine eigenen inneren Wunden zu heilen, die Welt um sich herum zu heilen versucht. Und das beginnt ihn heimzusuchen.

Das Vermächtnis, 3. Akt

Die ersten beiden Akte sind wie ein Prolog des dritten. Dann erst geht es um das Vermächtnis. Teil drei ist das Herz des Films. Der Sohn von Ryans Filmfigur, Jason, kommt aus einem sehr liebevollen Heim mit guten, engagierten Eltern. Er hat einen guten Stiefvater, eine gute Mutter, aber er spürt, dass ihm irgendetwas im Leben fehlt. Er wurde belogen, man hat die Wahrheit von ihm ferngehalten, und dieses Geheimnis lässt ihn nicht mehr los. Klar, er ist ein guter Junge, aber er muss die Wahrheit erfahren. Er ist ein echter Held, weil er diese Wahrheit sucht, koste es, was es wolle. Averys Sohn AJ scheint beinahe alles im Leben zu haben: Geld, sowie die Liebe und Fürsorge seiner Mutter. Aber eins fehlt ihm: eine Vaterfigur.

Ihnen beiden fehlt der Vater, und sie gehen unterschiedlich damit um. AJ hat keine wirkliche Beziehung zu seinem Vater, was ihn sehr schmerzt. Alles was er tut, ist ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Er schottet sich ab, um seinen Schmerz zu verbergen. AJ ist eine tragische Figur: ein überprivilegiertes Kind, charismatisch, beliebt, er hat viel von seinem Vater, aber er trägt eine tiefe Wunde in sich. So steigert er sich in einen starken Selbsthass hinein.

Die Dreharbeiten

Im Irokesischen bedeutet Schenectady „Ort jenseits der Pinien“. Meine Frau Shannon ist dort aufgewachsen. Seit ungefähr neun Jahren fahren wir regelmäßig zu Familientreffen dort hin, und ich fand diesen Ort immer hochinteressant mit seinem immensen geschichtlichen Erbe und der wirtschaftlichen Krise, mit der man gerade kämpft. Mein Co-Autor Ben Coccio kommt auch von dort, er beschreibt es als Kleinstadtversion von Detroit. Er hat den Titel The Place beyond the Pines vorgeschlagen. Ich fand ihn toll, weil dieser Titel neben der wörtlichen auch noch metaphorische Bedeutungen transportiert.

Also haben wir im vergangenen Sommer 47 Tage lang in Schenectady gedreht – unerhört lange für einen Film unseres Budgets. Ich komme ja vom Dokumentarfilm, und mir war wichtig, die Authentizität herzustellen, indem ich vor Ort und mit Einheimischen drehte. Wir haben in einer Polizeiwache mit Polizisten aus Schenectady gedreht, in einem echten Krankenhaus mit echtem Personal und Patienten nebenan, auf einem echten Jahrmarkt, wo wir nur hoffen konnten, dass die 500 gecasteten Laiendarsteller nicht in die Kamera gucken würden.

Dann waren da noch die Banken mit echten Schalterbeamten und Managern, die sogar schon einmal ausgeraubt worden waren, und eine echte High School mit echten Schülern. So wollte ich Wahrhaftigkeit herstellen. Ich habe die Polizisten und die Ärzte und die Bankangestellten und die Richter immer gefragt, ob wir alles richtig wiedergeben, wenn die Antwort nein lautete, dann habe ich die Szene vor Ort umgeschrieben.«

─ Fazit ─

The Place beyond the Pines merkt man an, dass der Film einem Dokumentarfilmregisseur entspringt. Der Film besitzt ein mäßiges Tempo mit einigen Actionszenen, die jedoch die Gesamtgeschwindigkeit des Films nicht zu erhöhen vermögen. Aber das macht nichts. Die Hauptdarsteller tragen das Tryptichon wie bei einem Staffellauf in drei Runden. Für diese Mammutarbeit brauchte Derek Cianfrance auch drei Autoren. Während das Tempo gleich bleibt, unterscheiden sich die drei Kapitel des Films in deren Atmosphäre, Handlung und Farbgebung.

Eines bleibt jedoch von Anfang bis Ende bestehen: die Authentizität, mit der alle ans Werk gegangen sind. Cianfrance: »Ben Mendelsohn und ich haben zum Beispiel einen Typen aufgesucht, der ein halbes Dutzend Banken in Schenectady ausgeraubt hatte. Ein großartiger Kerl, ganz im Ernst – er kam gerade frisch aus dem Knast und war sehr offen zu uns. Er sagte: „Im wirklichen Leben ist ein Bankraub immer chaotisch, aber im Film immer perfekt. Das stimmt nie.“ Wir wollten ihn stolz machen mit unserem Film.«

Und genau diese Authentizität, nicht nur gegenüber dem Drumherum, sondern auch die Authentizität der Schauspieler, machen den Film zu einem Erlebnis. Mit 140 Minuten ist er recht lang. Man braucht ordentlich Sitzfleisch. Aber es lohnt sich wahrlich, dieses Epos anzusehen. Zu Ryan Gosling und Bradley Cooper brauch man ja eigentlich gar nichts mehr sagen. Sie spielen einfach umwerfend. In diesem Film spielen jedoch alle hervorragend - wahrscheinlich deshalb, weil sich alle während der langen Drehzeit in ihre Rollen hineingelebt hatten. Wem die zahllosen Actionfilme derzeit auf den Senkel gehen, wird bei diesem Film bestens abgeholfen...und bekommt trotzdem Spannung geboten. ■ mz

12. Juni 2013
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OT: The Place beyond the Pines
Drama/Krimi
USA 2012
140 min
FSK 12


mit

Ryan Gosling (Luke) Tommy Morgenstern
Eva Mendes (Romina) Sandra Schwittau
Mahershalalhashbaz Ali (Kofi)
Ben Mendelsohn (Robin)
Bradley Cooper (Avery) Tobias Kluckert
Rose Byrne (Jennifer)
Gabe Fazio (Scott)
Harris Yulin (Al Cross)
Bruce Greenwood (Bill Killcullen)
Ray Liotta (Deluca)
Dane DeHaan (Jason)
Emory Cohen (AJ) Constantin von Jascheroff
Kayla Smalls (Vanessa)
u.a.

drehbuch
Derek Cianfrance
Ben Coccio
Darius Marder

musik
Mike Patton

kamera
Sean Bobbitt

regie
Derek Cianfrance

produktion
Focus Features
Sidney Kimmel Entertainment
Electric City Entertainment
Verisimilitude
Hunting Lane Films
Pines Productions
Silverwood Films

verleih
StudioCanal

Kinostart: 13. Juni 2013